Von Fabian Felder
http://in-gl.de/2015/08/23/von-beit-jala-ins-deutsche-aussenministerium/
Die palästinensischen Schüler Khalil Barqawi, Marcel Eichberg, Samy Abu-Sarhan und Wadi al-Hussan besuchen die deutsche Schule Talitha Kumi in Beit Jala bei Bethlehem. In Bergisch Gladbachs Partnerstadt werden sie 2016 ihr deutsches internationales Abitur ablegen, das in ihnen auch ein Studium in Deutschland ermöglicht. Die vier palästinensischen Jungs haben in den vergangenen vier Wochen an verschiedenen Orten in Deutschland ein Praktikum absolviert.
Dadurch konnten sie bereits während ihrer Schulzeit erste Erfahrungen in Unternehmen und Staatsbehörden sammeln. Organisiert hat das Ganze Lars Stockmann: Der Theologie-Student aus Frankfurt war für drei Monate als Praktikant an Talitha Kumi und beklagte sich über die fehlende „Praktikakultur in Palästina und viele Jobs und Studiengänge sind auch schlicht nicht vorhanden“.
Anfänglich waren nicht alle von der Idee begeistert, erzählt er: „Die Schule, viele Eltern und auch Schüler waren am Anfang sehr misstrauisch, weil da ein Praktikant kommt und meint sowas auf die Beine zu stellen, aber das ist schnell gewichen.“
Praktikum bei Außenminister Steinmeier
Khalil Barqawi, 17 Jahre alt, hatte einen ganz besonderen Praktikumsplatz: er arbeitete beim Auswärtigen Amt in Berlin im Büro von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Khalil erzählte mir, dass er Deutsch als Fünfjähriger im Fernsehen gelernt habe und später dann vertieft an der Schule.
In Berlin bekam er einen Eindruck in den gelebten Demokratie-Betrieb in Deutschland. Er verfolgte unter anderem die Sterbehilfe-Debatte im Bundestag. „Es war eine sehr spannende und aufregende Erfahrung, einen Einblick in die Frage ‚Wie funktioniert Demokratie?‘ zu bekommen“, verrät mir der Schüler.
Im SPD-Büro von Steinmeier hatte er die Gelegenheit, wichtige Kontakte zu knüpfen. Er konnte sogar aktiv am Geschehen teilnehmen: er las die Gesetzesvorschläge zur Sterbehilfe und schlug dem Bundestagsbüro Steinmeiers dann den besten Vorschlag vor.
Der junge Palästinenser begleitete Außenminister Steinmeier auch auf seiner Tour durch dessen brandenburgischen Wahlkreis. Dafür hatte sich der deutsche Außenminister nach dem Verhandlungsmarathon in Wien zum iranischen Atomprogramm Zeit genommen. Wie Khalil mir erzählte, blieb bei dem Aufenthalt sogar ein wenig Zeit für persönliche Gespräche und Austausche. „Herr Steinmeier hat immer wenig Zeit, er hat schließlich einen wichtigen Job.“
Seine Erfahrungen und Eindrücke aus diesen spannenden vier Wochen nimmt der 17-Jährige mit in seine Heimat Palästina. „Ich möchte dort etwas bewegen, und dabei werden mir eine Erfahrungen helfen“, sagte er. Ob er nach seinem Abitur in Beit Jala nächstes Jahr zum Studium tatsächlich nach Deutschland kommen wird, ist noch nicht klar: „Ob ich hier in Deutschland oder daheim in Palästina studieren werde, das weiss ich noch nicht. Es kommt darauf an, wo ich einen Platz bekomme und wie meine Job-Chancen aussehen“, stellt er fest.
Einblicke in Luftfahrt, Handwerk und Wirtschaft
Seine Freunde hatten ebenfalls spannende Erfahrungen sammeln können. Samy Abu-Sarhan, der als Sohn einer deutschen Mutter in Hamburg geboren wurde und seit 2003 wieder in Jerusalem lebt, besuchte die Deutsche Flugsicherung in Langen. Dort schaute er den Fluglotsen bei der Arbeit über die Schulter. „Ich möchte später gern eine Ausbildung zum Fluglotsen machen“, erzählt er.
Marcel Eichberg blickte in die Welt von Ottobock, einer Firma für Prothesenherstellung mit Sitz im niedersächsischen Duderstadt bei Göttingen. Er bekam einen Eindruck von der Arbeit der Orthopädie-Techniker und durfte sogar mit an der Herstellung einer Beinprothese arbeiten. „Es war sehr spannend dort. Wenn ich nächstes Jahr mein Abitur habe, würde ich gern Physik studieren.“
Wadi al-Hussan hat ein volles technisches Programm: er war zu Gast bei der Deutschen Bahn Technik und beim Automobilkonzern Daimler Chrysler. Was er später studieren möchte wisse er noch nicht, es sollte aber etwas naturwissenschaftlich-technisches sein, etwa Maschinenbau oder Ingenieurwesen.
Und so bekommen junge, motivierte Menschen aus einer Region, die vor Problemen weder ein noch aus weiss, die Chance, neue Erfahrungen und Lebenseindrücke zu sammeln. Das wird für ihren späteren Lebensweg sehr entscheidend sein. Vielleicht führt der ein oder andere davon ja zurück nach Deutschland.
Große Projekte werfen ihre Schatten voraus
Eine Vorstellung für zukünftige Projekte hat Lars Stockmann ebenfalls bereits. „Jetzt hoffen wir, dass wir dieses Programm längerfristig etablieren können. Mehr noch: Wir wollen es ausbauen“, erzählt Stockmann: „Ich würde mir eine AG wünschen die sich ein Jahr im voraus trifft und sich intensiver mit der Studienorientierung befasst und auch Fähigkeiten vermittelt, die in Deutschland wichtig sind, wie etwa Bewerbungstrainings, sodass die Schüler dann nicht nur das deutsche Abitur mit auf den Lebensweg bekommen, sondern auch ansonsten gut gerüstet sind, wenn sie Talitha Kumi verlassen.“