Rainer Stuhlmann liebt die Menschen in Israel und in Palästina, aber er teilt auch nach beiden Seiten aus – seine Art der „doppelten Solidarität“. In der fast ausgebuchten Kirche zum Heilsbrunnen hielt er einen lebendigen Vortrag über seine Erfahrungen im Heiligen Land.
Der Referent Rainer Stuhlmann nahm die Zuhörer mit auf eine Reise nach Nes Ammim in Israel und nach Beit Jala in Palästina. Er entpuppte sich als aufmerksamer Beobachter des Alltags im Heiligen Land, als ein sachlicher, realistischer und gerechter Freund der Menschen, der jüdischen Israeli jedweder Couleur, der christlichen bzw. muslimischen Palästinenser jedweder Couleur, der Drusen…
Die Reise startete in Nes Ammim, dem 1963 gegründeten Friedensdorf in der Nähe von Haifa (Zeichen für die Völker, Zeichen der Völker), und Rainer Stuhlmann erzählte zunächst, wie er Israel erlebt hat und was es für die jüdischen Bürger bedeutet: Zum Beispiel zeigte er das Foto aus einem Zug auf der Strecke Haifa – Tel Aviv am frühen Morgen, in dem ein gläubiger Jude seine rituellen Gebete verrichtet. Diese Freiheit, Jude zu sein, den jüdischen Glauben offen leben, gebe es (nur) in Israel – so etwas könne man beispielsweise in Berlin nicht sehen. Stuhlmann, der frühere Ostermarsch-Teilnehmer, lernte sogar die israelische Armee schätzen, schließlich verhindert das Militär mit dem Abwehrsystem „Iron Dome“ auch Raketenangriffe auf Nes Ammim.
In Beit Jala angekommen schilderte Stuhlmann die Lebensumstände der Palästinenser, die Flüchtlingslager und das Problem des vererbten Flüchtlingsstatus, wie auch die Über- oder Eingriffe der israelischen Armee. Der Bau der Mauer blieb nicht ausgespart: Sie sollte in den Anfängen zur Absicherung Israels vor Terroranschlägen dienen. Jüngere Aktivitäten und Pläne zeigen jedoch, dass sich die Mauer heute in das palästinensische Kernland hineinfrisst. Die Mauer auf dem Boden der anderen als ein Hemmnis des Friedens! Ebenso wie die Schlüsselsymbolik auf palästinensischer Seite: Der Schlüssel symbolisiert das Rückkehrrecht der Palästinenser in ihre früheren Häuser und Wohnungen auf heutigem israelischem Boden, die oft schon längst nicht mehr existieren.
Stuhlmann ist gnadenlos gerecht, er liebt die Menschen auf beiden Seiten, teilt aber auch nach beiden Seiten aus. Wer hoffte, eine Seite würde als die richtige bestätigt, war hier fehl am Platz. Es gibt zwei Stühle, von denen keiner richtig, keiner falsch ist, es gibt nur einen Weg zwischen den beiden Stühlen hin zum Frieden und zur Versöhnung. So ging die Reise zurück nach Israel, zu den Friedensinitiativen, die mit vielen kleinen Schritten Wissen und Verstehen vermitteln.
Des einen Freiheit schafft des anderen Sicherheit, und des einen Sicherheit schafft des anderen Freiheit. Wie soll das gehen? Politische Lösungen konnte und wollte Stuhlmann nicht anbieten, aber die Gewissheit, dass es nur mit dem respektvollen Hören auf die unterschiedlichen Narrative, mit dem liebevollen Einlassen auf den anderen gelingt, Frieden miteinander zu machen und eine würdevolle Koexistenz zu gestalten. – Wie gut passte da der Bibelspruch an der Kirchwand von Avishai Levin, dem früheren Bürgermeister von Ganey Tikva: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Stuhlmann schloss mit einem Gedicht von Jehuda Amichai:
Der Ort, an dem wir recht haben
An dem Ort, an dem wir recht haben,
werden niemals Blumen wachsen
im Frühjahr.
Der Ort, an dem wir recht haben,
ist zertrampelt und hart
wie ein Hof.
Zweifel und Liebe aber
lockern die Welt auf
wie ein Maulwurf, wie ein Pflug.
Und ein Flüstern wird hörbar
An dem Ort, wo das Haus stand,
das zerstört wurde.
Rainer Stuhlmann sprach auf gemeinsame Einladung des Städtepartnerschaftsvereins Bergisch Gladbach-Beit Jala e.V. und des Freundeskreises Ganey Tikva; letzterer verfasste diesen Pressebericht.