Lizzie Doron im Löwen

Die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron („Who the Fuck is Kafka“) schlug kürzlich das Publikum in ihren Bann: Bei einem Gesprächsabend im Löwen über ihr außergewöhnliches Leben, ihre Bücher und die Suche nach einer zweiten Heimat in Deutschland.

Axel Becker dankte Lizzy Doron (r.) und Margarete von Schwarzkopf im Namen aller Veranstalter

Hier lesen Sie das aufschlussreiche Interview:

„Deutschland ist meine zweite Heimat“

Die israelische Schriftstellerin Lizzy Doron im Bergischen Löwen

„Wir sind Freunde, weil wir Feinde sind“ – schon wieder so ein widerborstiger Gedanke, der sich beim Zuhörer in die Hirnwindungen hakt und ungefragt nachhallt. Die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron (65) erzählte am Sonntag vor großem Publikum im Bergischen Löwen von ihrer ungewöhnlichen Freundschaft mit dem palästinensischen Journalisten Nadim. Zur Lesung ihres halbbiographischen Romans „Who the Fuck is Kafka“ kam es gar nicht erst. Stattdessen breitete Doron im Gespräch mit der Kölner Journalistin Margarete von Schwarzkopf die irrwitzige Entstehungsgeschichte dieses Buches aus, das nur in Deutschland erscheinen kann. Es ist die Geschichte einer mutigen Frau, Tochter einer Holocaust-Überlebenden. Einst in Israel gefeiert, inzwischen als Verräterin abgelehnt und jetzt auf der Suche nach ihrer „zweiten Heimat“ in Berlin. Die Veranstaltung fand in Kooperation von Stadtbücherei, Städtepartnerschaftsverein Beit Jala, Freundeskreis Ganey Tikva und Bürgermeisterbüro statt.

Ihr Verlag schreibt über Sie und die palästinensische Hauptfigur von „Who the Fuck is Kafka“: „Sie begreifen, dass sie dieselbe Irrenanstalt bewohnen, nur in verschiedenen geschlossenen Abteilungen.“ Was schoss Ihnen durch den Kopf, als Sie dem „Feind“ plötzlich im wirklichen Leben gegenüberstanden?
Dass wir alle verrückt sind. Und die Mächtigen können sich das zunutze machen, uns bei unserer Angst packen und dazu bringen, andere zu hassen. Das geht schon im Kindergarten los, und das funktioniert auch im Nahen Osten, wo die Geschichte zwei traumatisierte Völker zusammengebracht hat. Auf beiden Seiten ist der Feind immer ein Thema, und wenn sie einen Teufel schaffen, werden ihnen die Leute folgen. Das funktioniert auch bei Donald Trump: „America first“,dahinter steckt kein bestimmter Inhalt. Aber die Menschen folgen einem Traum. Tatsächlich ist es ist nur ein Slogan, den anderen zu zerstören.

Zu Beginn Ihrer literarischen Karriere haben Sie in Israel die sogenannte zweite Generation, die Holocaust-Überlebenden, repräsentiert. Seit einigen Jahren ist das große Thema Ihrer aktuellen Bücher, „Who the Fuck is Kafka“ und „Sweet Occupation“ Ihre Beziehung mit dem Feind, den Palästinensern, Ihre Angst, Ihre Fremdheit. Was war der Wendepunkt?
Da muss ich ein wenig zurückblicken. Früher in Israel hasste jederman in meiner Umgebung die Deutschen. Aber meine Mutter sagte immer: „Du darfst Menschen niemals in eine Schublade stecken.“ Das war für mich als Kind ziemlich schwierig zu verstehen. Als ich ein wenig älter war, so um die 12 Jahre, sagte sie: „Es gibt keinen Holocaustüberlebenden, ohne einen Menschen, der ihm geholfen hat.“ Jahre später habe ich herausgefunden, dass meine Mutter überlebte, weil ihr ein SS-Offizier geholfen hatte. Sie konnte sagen, dass mindestens ein Deutscher ein guter Mensch war, ein Engel. Das war für mich ein Weckruf, genau auf die Welt zu schauen.
Als ich Nadim aus Ost-Jerusalem zum ersten Mal auf der Friedenskonferenz in Rom traf, erzählte er mir, welchen Horror es bedeutet, unter Besatzung zu leben. Und ich erzählte ihm von all dem Horror und den Vorurteilen, die ich mit Arabern verband. Und in diesem Moment hörte ich die Stimme meiner Mutter. Ich bin froh, dass auch ich so einen Menschen traf – nicht ganz vergleichbar natürlich, aber jemanden, der Ähnliches ausgelöst hat.

Ausgerechnet in Israel erscheinen die Bücher Ihrer zweiten Schaffensphase nicht.
Ja, das ist verrückt. Doch das gilt nicht nur für Israel. Meine palästinensischen Freunde fanden auch keinen Verleger im arabischen Raum. In mehreren europäischen Ländern wollte ebenfalls niemand die Bücher verlegen. InSchweden und Frankreich zum Beispiel wurde der Vertrieb mit Hinweis auf die Befindlichkeiten der dortigen Muslime abgelehnt. So fand ich heraus, dass die Deutschen meine Partner sind.

Was würden Sie Ihren Landsleuten gerne sagen, was den Palästinensern?
Wir haben einen gemeinsamen Traum – dass wir zusammen Lesungen machen, damit wir die Schicksale beider Völker in einer Geschichte erzählen können. Ich stelle mir das wie eine Peepshow vor: Jeder kann in die Welt des anderen blicken. Das Buch handelt von Menschen, die frei leben wollen, in Frieden, zusammen.

Im Jahr 2015 sind Sie in unsere Partnerstadt Beit Jala gefahren, zu einem Treffen der israelisch-palästinensischen Organisation „Combatants for Peace“ in der lutherischen Schule Talitha Kumi. Eigentlich dürfen Sie als Israelin nicht ohne Erlaubnis der Militärverwaltung dorthin reisen. Wie kam es dazu?
Anfangs hatte ich gar nicht vor, nach Beit Jala zu fahren. Aber ich war in besonderer Mission unterwegs, wollte eine der Gründungspersonen der „Combatants“ aus dem Flüchtlingslager Deheishe treffen. Das verlangten die Recherchen zu meinem Buch „Sweet Occupation“. Und ich hatte große Angst, in das Palästinensergebiet zu fahren. Ich meine, wir als Israelis müssen aufmerksam sein. Meine Familie wurde im Holocaust getötet, und wir haben das Bewusstsein, überall von Feinden verfolgt zu sein, auf die Palästinenser übertragen.

Trotzdem sind Sie gefahren …
Dann kam der Triggerpunkt. Ich traf jenseits der Grenze Menschen von der anderen Seite. Das war eine außergewöhnliche Erfahrung für mich: Der Feind kann dein Freund sein. Du kannst aufhören, deinen Feind zu hassen. Das war eine Zeit innerer Heilung. Sie verringerte nicht meine Ängste, gab mir aber Hoffnung. Menschen können einen Wandel anstoßen. Das verbinde ich mit Beit Jala.

Bergisch Gladbach gehört zu den weltweit wenigen Städten, die eine Städtepartnerschaft mit Israel und Palästina verbindet. Kann eine solche Partnerschaft angesichts des Nahostkonflikts überhaupt etwas ausrichten?
Aber natürlich! Das ist der erste Schritt, um Unwissenheit zu überwinden, um Menschen neugierig auf andere zu machen. Ich glaube nicht, dass Politiker Frieden schaffen können. Es ist zuerst einmal eine Sache der Bürger, es ist unser Anliegen. Eine sehr harte Arbeit, ein erster Schritt, aber unschätzbar. Sie sollten unbedingt weitermachen!

Die Deutschen fühlen eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Darf man als Deutscher die Besatzungspolitik kritisieren?
Wenn es ihren Werten entgegenstehet, natürlich. Was mir wichtig ist: Die Deutschen müssen vorsichtiger sein als andere. Sie sind immer noch auf der Suche nach sich selbst. Aber deshalb nicht ehrlich und offen zu sein, das wäre ein echtes Problem. Jemanden zu kritisieren, kann manchmal bedeuten, ihn zu beschützen. Besatzung ist immer der falsche Weg. Es ist eine Sache der Werte, nicht der großen Politik, anderen Menschen elementare Rechte zuzugestehen.

Ihr Landsmann und Schriftsteller-Kollege, David Großman, sagte kürzlich: „Wenn man von Frieden spricht, gilt man als naiv oder als Verräter, weil man die Fähigkeit schwächt, ein besserer Krieger zu sein.“ Sind Sie naiv, sind Sie eine Verräterin?
(schmunzelt und überlegt) Vielleicht beides. Das hängt von der Zeit und dem Tag ab. Über Frieden zu sprechen, ist heutzutage nicht Konsens. Wenn du manchenLeuten nicht folgst, bist du ein Feind und Verräter, das ist ziemlich einfach. Ich habe keinen Friedensplan, vielleicht bin ich naiv. Aber ich bin sicher, beide, der Naive und der Verräter, können etwas ganz Neues hervorbringen. Unmögliches zusammenzubringen, kann Besonderes möglich machen. Das Oxymoron (gezielter Gegensatz, d. Red.) in der Literatur, ich liebe es! Ich kann Träume haben, das ist dann eben so. Lasst uns schauen, was wir ausrichten können.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Vor einiger Zeit saß ich im Zug aus Dresden, ein Reisender hatte mich erkannt, wir kamen miteinander ins Gespräch. Ich erzählte ihm, dass ich Israelin bin, auch in Berlin wohne, oft mit meinem Mann zwischen Tel Aviv und Berlin pendele, einen Sohn in Dresden habe und eine Tochter in Israel. Ach ja, meinte er, „so wie viele Israelis“. Er erzählte mir, dass er, als die DDR zusammenbrach, zwar noch seine Sprache, Familie und Wohnung behalten konnte, sich die Welt um ihn herum aber tiefgreifend verändert hatte. Dann fügte er hinzu: „Jetzt verstehe ich Sie zutiefst. Sie sind ein Flüchtling, aber ein Flüchtling erster Klasse.“ Sofort war mir klar: Das ist der Titel meines nächsten Buches – Flüchtling erster Klasse!

Wieso Flüchtling erster Klasse?
Ich selbst habe mir schließlich ausgesucht, mir eine neue Heimat zu suchen. Körperlich bin ich mit einem Bein noch in Israel, aber dort bin ich Persona non grata. In Israel lehnen sie ab, meine Bücher zu veröffentlichen. Dort kann ich lediglich am Herd stehen und mich um meine Familie kümmern. Nicht das Schlechteste, aber da bin ich eben keine Schriftstellerin mehr. Sie laden mich nicht einmal mehr zum Holocaust-Gedenktag ein, nehmen meine Bücher nicht mehr in der Schule durch. Deutschland ist meine zweite Heimat. Hier kann ich mich ausdrücken, kann meinem Beruf nachgehen. Da muss ich wieder an meine Mutter denken. Sie liebte die deutsche Kultur, sprach zuhause heimlich Deutsch. Und sie sagte immer: „Es ist besser, zwei Heimaten in sich zu tragen. Für alle Fälle.“

Wenn schon Deutschland, warum ausgerechnet Berlin?
Weil dort mein Onkel vor dem Krieg lebte. Ich stelle mir vor, eine innere Verbindung zu diesem Ort zu haben. Mein neues Buch erzählt vom Leben in meiner neuen Heimat. Da sehen Sie, wie machtvoll Bücher sein können! Ich schreibe ein Buch über meinen Feind und schon muss ich mich neu erfinden. Ich
bin ein Flüchtling. Und jetzt muss ich mir eine neue Identität schaffen.

Interview: Jörg Bärschneider

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