von Heinz-D. Haun
https://in-gl.de/2017/11/18/schlechte-nachrichten-und-beeindruckende-menschen-in-beit-jala/
Schlechte Nachrichten und starke Menschen in Beit Jala
Immer stärker leidet die palästinensische Partnerstadt Beit Jala unter Israels Mauerbau. Aber unsere Reisegruppe traf auf viele Menschen, die mit beeindruckender Kraft ihr Schicksal selbst in die Hände genommen haben. Zudem wurden einige wichtige Kulturprojekte vereinbart.
Nein, es ist seit unserem letzten Besuch nicht unerwartet plötzlich alles besser geworden in der palästinensischen Partnerstadt, im Gegenteil: Die Trennungsmauer besteht weiterhin und ist auch weiter gebaut worden seit dem letzten Jahr. Sie verläuft auf städtischem Territorium von Beit Jala und trennt die örtlichen Bauern von ihren Olivenhainen und Feldern.
Wir sprachen mit einem Autofahrer, der darauf wartete, dass sein Freund durch ein Tor in der Mauer wieder von der Arbeit auf seinen Feldern zurückkehren würde und erfuhren, dass der Besuch der Felder jenem aktuell überhaupt nur ungefähr vier bis fünfmal (in der Haupterntezeit!) gestattet worden sei. Mehr als 50 Familien sind so von ihrem Land abgeschnitten.
Das berühmte Weinanbaugebiet von Cremisan ist inzwischen völlig separiert vom restlichen Stadtgebiet Beit Jalas. Hierdurch werden auch das Frauen- und das Männerkloster von Beit Jala voneinander und die Mönche von der christlichen Gemeinschaft getrennt.
Nein, wir hatten auch nicht erwartet, dass man zumindest in den A-Gebieten, dort also, wo laut der Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Oslo-Prozess die palästinensische Autonomiebehörde „das Sagen hat“, das israelische Militär sich fernhielte. Und tatsächlich kontrollierten israelische Soldaten (aus uns unbekannten Gründen) eines Nachmittages während unseres Besuches in Beit Jala einen der zentralen Plätze …
Geld aus GL soll in den Bergisch Gladbach-Square fließen
Leider ist auch die Idee des Jugendstadtrates von Beit Jala noch nicht realisiert worden, einen Wettbewerb unter den Geschäftsleuten auszuschreiben, der diese dazu verleiten sollte, im Sinne einer Aktion à la „Unser Dorf soll schöner werden“ vor ihren Läden Grünes und Blühendes anzupflanzen.
Bei einem Beit Jala-Treff im Frühjahr diesen Jahres in Bergisch Gladbach war zur Unterstützung dieser Bemühung das hübsche Sümmchen von 600 Euro an Spenden seitens der Besucher der Veranstaltung zusammengekommen.
Zwei Vertreter des Jugendparlaments besuchten uns jetzt aber an einem Abend in unserem Domizil „Abrahams Herberge“ und berichteten von den praktischen Schwierigkeiten, das Vorhaben umzusetzen. Stattdessen wolle man das Geld nun in die Gestaltung des Bergisch Gladbach-Square investieren, der im Oktober nächsten Jahres im Stadtteil Bir Ouna eingeweiht werden wird.
Ja, und auch unser Kellner in Abrahams Herberge, der oft finster dreinblickende, in Wahrheit aber sehr warmherzige Hannah, schläft immer noch nur eine halbe Stunde oder Stunde pro Nacht, seit er während der 2. Intifada bei einem Angriff israelischer Soldaten acht Schussverletzungen erlitt und seitdem schwer traumatisiert ist.
IGP verabredet Schulpartnerschaft
Aber es gibt auch freudige Nachrichten:Angelika Wollny, Leiterin der Integrierten Gesamtschule Paffrath und Mitglied der Reisegruppe, war an einem Abend Gast von Amal Behnam, der Schulleiterin der Mor Aphrem School in Beit Jala, und besuchte drei Tage später die Schule, wo sie von fröhlichen Schülerinnen und Schülern singend begrüßt wurde. Die beiden Schulleiterinnen verabredeten eine Schulpartnerschaft und die Durchführung eines Schüleraustausches in beiden Richtungen.
Künstlerischer Austausch
Heinz-D. Haun traf sich parallel zu den Aktivitäten der Gruppe mit Faten Nastas und Bashir Qonqar, zwei Aktiven des Kunstgeschehens in der Region, und plante mit ihnen konkrete Vorbereitungsschritte für eine Ausstellung im Kulturhaus Zanders, die im Rahmen der geplanten Deutsch-Palästinensischen Kulturtage im September nächsten Jahres stattfinden soll.
Bei einem Treffen mit Samia E. Abu Hmud, technischer Direktorin des „Inad Centre for Theatre and Arts“ in Beit Jala, ging es um Möglichkeiten der interkommunalen kulturellen Zusammenarbeit, die es zu entwickeln gilt.
Deutsch-palästinensisches Musikprojekt
Mit Georgette Rizqallah wurde der aktuelle Stand der Vorbereitungen für das große Musikprojekt besprochen, bei dem ebenfalls im September 2018 palästinensische und deutsche Musikerinnen und Musiker in Bergisch Gladbach über eine Woche hin in Workshops ein Konzertprogramm einstudieren und aufführen werden – so denn die Finanzierung des Vorhabens gesichert werden kann.
Solcherart Aktivitäten sind überaus wichtig für die Entwicklung der Städtepartnerschaft, da sie geeignet sind, Mitglieder der Zivilgesellschaft der Partnerstädte auch über die offiziellen Kontakte mit Vertretern der Verwaltungen miteinander in Kontakt und Austausch zu bringen.
Begegnungen mit Israelis und Palästinensern
Sehr beeindruckend und bewegend waren Begegnungen mit Vertretern zwei ganz besonderer Organisationen in Palästina: den „Combatants for Peace“ und dem „Parents Circle Families Forum“. Zu solchen Treffen wie mit unserer Reisegruppe treten die Vertreter dieser Initiativen immer zu zweit auf, einer von palästinensischer, einer von israelischer Seite.
Ghassan Bannoura und Ben Yeger von den „Friedenskämpfern“ trafen wir in Talitha Kumi, der renommierten deutschen Auslandsschule in Beit Jala, die sowohl vom A-Gebiet (palästinensisch kontrolliert) als auch vom C-Gebiet aus (israelisch kontrolliert) betreten werden kann.
Die Aktivisten dieser Graswurzelbewegung waren früher einmal aktive Kämpfer im israelischen Militär oder im gewaltbereiten Widerstand gegen die Besetzung. Heute haben sie ihre Waffen abgelegt und arbeiten dafür, dass der Teufelskreis der gewaltsamen Auseinandersetzung mit vereinten Kräften durchbrochen werden kann.
Ihr Ziel ist es mit dazu beizutragen, dass die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete beendet wird und alle Formen der Gewaltanwendung auf beiden Seiten unterlassen werden, um eine friedliche Zukunft für beide Völker zu schaffen.
Im Parents Circle begegnen sich israelische wie palästinensische Familien (inzwischen 600 beteiligte Familien), die nahe Angehörige durch den Dauerkonflikt verloren haben. Zu uns kamen an einem Abend Rami Elhanan, der Leiter des israelischen Büros der NGO, und Bassam Aramin „ehemaliger Terrorist“ – wie er von Rami vorgestellt wurde – und inzwischen dessen bester Freund.
Sehr bewegend berichteten beide von ihrem Leid – Rami hatte durch einen palästinensischen Selbstmordattentäter seine damals 13jährige Tochter verloren, Bassams 10jährige Tochter wurde erschossen, als sie Süßigkeiten einkaufte.
Die beiden Väter haben dennoch zusammengefunden, weil sie erkannt haben, dass nur die Versöhnung beider Völker im Rahmen eines gerechten Friedens die Gewalt mindern und verhindern kann. Und Frieden müsse möglich werden bei einer von beiden Seiten akzeptierten politischen Lösung des Konflikts.
Viele der Mitglieder unserer Reisegruppe sind oder waren Lehrer oder Lehrerinnen, und insbesondere sie registrierten zustimmend, dass beide Organisationen versuchen, zu gegenseitigem Verständnis und zu Versöhnung beizutragen, indem sie in Schulen gehen – auf beiden Seiten und immer zu zweit –, um dort ihre Haltung und ihr Bestreben den Schülern und Schülerinnen zu vermitteln.
Heraus aus der Opferperspektive
Natürlich, wenn man Palästina bereist, hört man immer wieder, wie schwierig das Leben unter den Bedingungen der Besatzung ist, wieviel Unrecht das palästinensische Volk tagtäglich erleidet und dass man sich als Opfer eines übermächtigen Gegners empfindet. Und selbstverständlich ist diese Haltung nachvollziehbar.
Gleichwohl ist es erfreulich mitzuerleben, wenn Menschen aus der (lähmenden, inaktivierenden) Opferperspektive heraustreten und aktiv die Möglichkeiten nutzen, die sie haben.
Ein beeindruckendes Beispiel dafür bot uns Hassan Muamer, Ingenieur und Aktivist in Battir, einer Nachbargemeinde von Beit Jala. Die Reisegruppe war dorthin gewandert durch das schöne Wadi Makhrour, durch alte, z.T. aus römischer Zeit stammende Terrassenanlagen mit Obst- und Olivenbäumen.
Muamer ist derzeitiger Motor in der Gestaltung des öffentlichen Lebens von Battir. Voller Tatendrang und begeisternd berichtete er den Besuchern von bisher erfolgreich gemeisterten Infrastrukturprojekten und zukünftigen Plänen. Insbesondere die Entwicklung eines sanften, nachhaltigen Tourismus hat er sich auf die Fahnen geschrieben. Zwei Ferienwohnungen können bereits gebucht werden, andere alte Gebäude werden derzeit restauriert. Auch ein Ökomuseum wurde auf Muamars Initiative hin eröffnet.
Er hat das Gebiet der kleinen Stadt neu kartographiert und zwei ausgedehnte Wanderungen für einen Wanderführer beschrieben. Die Einwohner von Battir haben ihre Geschicke selbst in die Hand genommen. „Wir müssen nicht warten, bis jemand kommt und etwas für uns tut“, kommentierte Muamer selbstbewusst.
Einblick in die Entstehungsphase des Staates Israel
Einen sehr interessanten Einblick in die Entstehungsphase des Staates Israel bekamen wir bei einem zweitägigen Besuch des zweitältesten Kibbuz Deghania II (gegründet 1925) am See Genezareth mit einer authentischen Führung durch einen Bewohner, dessen Familie dort in der zweiten Generation lebt. Noch immer organisiert sich das Gemeinwesen nach basisdemokratischen Grundsätzen und ist dabei immer noch wirtschaftlich erfolgreich.
Gegenseitige Besuch in Ganey Tikva und Beit Jala
Auf dem Programm der Reise stand auch ein Besuch in Ganey Tikva, der israelischen Partnerstadt von Bergisch Gladbach, wo uns Ruthy Vortrefflich aus dem Büro der Bürgermeisterin empfing und uns einige Highlights der Stadt zeigte (selbstverständlich auch die Skulptur von Helmut Brands auf dem Bergisch Gladbach-Roundabout).
Tenor der Reisegruppe: Schön, auch einen etwas tiefer gehenden Einblick in die ganz andere israelische Welt haben zu können. Zwei Wochen zuvor war die Reisegruppe des Ganey Tikva-Vereins an einem Tag der Einladung von Beit Jalas Bürgermeister Nicola Khamis gefolgt und hatte Beit Jala besucht.
Solcherart „gegenseitige“ Besuche können sicherlich mit dazu beitragen, die Mauern in den Köpfen zu überwinden und mentale Brücken zu errichten.